Gute Idee und kleinere Problemfelder
Es ist erfrischend zu sehen, dass die Lichtbranche, unter dem Stichwort „Human Centric Lighting“ versucht, die neuen Möglichkeiten der Technologie in echte Qualität für Menschen zu überführen. Doch es zeigt sich, dass der Begriff Human-Centric Lighting für eine Bandbreite an Anwendungen genutzt wird. Ein Vergleich zwischen den Qualitätsniveaus ist kaum möglich und keinesfalls gerecht. Die oft zitierten Äpfel und Birnen. Dieser Blog hat das Ziel dem interessierten Endkunden Ansätze zu bieten, um die Spreu vom Weizen zu trennen. Dies erhöht die Chance, Erwartungen erfüllt zu bekommen.
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Historisches Umfeld schafft Voraussetzungen und Probleme
Der Umstieg auf die LED hat die Gütemerkmale der Beleuchtung in vielen Diskussionen um gutes Licht an die Seite gedrängt. Nach der ersten dekorativen und sehr farbigen Einführungsphase vor 2010, schienen erfolgreiche Produkte in den letzten Jahren einfachen Formeln zu folgen. Mehr Licht pro Watt wurde von Lichtmenge pro Euro abgelöst. Beide Themen führen zu einem destruktiven Marktverhalten. Leuchten werden immer ähnlicher. Der Preiskampf immer intensiver. Im Erfolgsdruck bleibt kaum Zeit Qualitäten zu argumentieren und ausführlich zu beraten. Dabei hat die LED mit ihren Eigenschaften der Effizienz, einfachen Steuerung, Langlebigkeit und Miniaturisierung viele Voraussetzungen geschaffen, die uns heute viel besseres Licht ermöglichen.
Kurzer Einblick in die Mensch-Licht-Beziehung
Der Mensch verbringt heute einen Großteil seiner Zeit in Innenräumen. Die Evolution hat uns aber auf den vorhandenen Wechsel des Tageslichts geprägt. So gibt es einen Mix an Prozessen im Körper, die uns in einer gesunden Balance halten. Fachlich spricht man von circadianen Rhythmen und homöostatischen Prozessen, die zum Beispiel gesunden Schlaf regulieren. Verändern wir den Rhythmus, kommen wir sehr schnell in Probleme. In der heutigen Welt haben viele Menschen den Jet-Lag erlebt. Dieser dient als gutes Beispiel für die Wirkungsweise und hat seine Ursache im plötzlichen Verändern der Trigger des täglichen Rhythmus.
Bild 1: Die Augen und das Gehirn haben sich im Laufe der Evolution optimal an die natürlichen Lichtbedingungen angepasst. Dieser Prozess begann schon weit vor der Existenz des Menschen.
Anwendungsfall 1: Spezielle Arbeitsplätze mit Anpassung des Biorhythmus
Die NASA nutzt seit Jahrzehnten hohe Lichtintensitäten, dynamisches Licht und Lichtfarben, um Astronauten biologisch und psychologisch zu unterstützen. Fehler, die Astronauten machen, sind teuer und gefährlich. Weltraumorganisationen wissen um die Wirkungsweise von Licht und nehmen für diese Lösung sogar gerne in Kauf, eine Masse zusätzlichen Raketentreibstoff für das Gewicht der Batterien und der Leuchten einzukalkulieren. Es fällt nur wenigen Menschen direkt auf, aber bei Live-Übertragungen aus Raumschiffen und Weltraumstationen sind Astronauten gut ausgeleuchtet, ohne dass eine Bühnenbeleuchtung benötigt wird.
Für besondere Arbeitsplätze, z.B. bei Fluglotsen oder in Schaltanlagen von Atomkraftwerken finden sich ähnliche Konzepte. Bei diesen High-End Konzepten greift die Beleuchtung üblicherweise auch korrigierend auf den Biorhythmus ein. Eine Überwachung und Begleitung durch Arbeitsmediziner ist hier dringend geboten, damit in den Stunden außerhalb der Schicht der Bedarf von Licht und Dunkelheit geplant und befriedigt wird. Ein Eingriff in den Biorhythmus ist immer schwerwiegend und muss gut überlegt werden. Manchmal lässt es sich aber kaum vermeiden. Ein Chirurg, der um Mitternacht eine Notoperation durchführen muss, sollte, trotz der ungünstigen Zeit, in Hochform sein.
Anwendungsfall 2: Räume, die den Menschen unterstützen
Ist das Ziel, den Biorhythmus der Menschen zu unterstützen, dann wird die Sache deutlich einfacher und positiver. Es erscheint logisch, dass in normalen Innenräumen und Umständen eine Orientierung am Tageslicht für Kunstlicht eine gute Lösung sein sollte. Wissenschaftliche Studien haben dies in den vergangenen 20 Jahren vielfach gezeigt. Wohlbefinden und Leistungsbereitschaft kann gut im zweistelligen Prozentbereich gesteigert werden.
Unser Tageslicht definiert sich durch Zenitlicht in verschiedenen Weißtönen, Horizontlicht mit den intensiven Farben am Morgen und am Abend sowie wechselndem Licht. Letzteres entsteht durch Strukturen in unserer Umwelt und den Konsequenzen von Schatten, Reflexionen und dem Lauf der Sonne.
Bringen wir dies in unsere Räume, so stehen dem Lichtdesigner einige Tools zur Verfügung. Als Annäherung können sogenannte tunable-white Leuchten am Arbeitsplatz die Aufgabe des Zenitlichts übernehmen. Hat die Leuchte eine große Lichtaustrittsfläche, so ist dies im Normalfall für unser Auge von Vorteil. Dynamisches farbiges Licht an der oberen Hälfte von mindestens einer Wand gibt einen guten Horizont. Dimmbare Leuchten oder Spots können das Schattenspiel der wandernden Sonne gut simulieren. Dabei muss die Innenbeleuchtung hier gar nicht präzise dem Lauf der Sonne folgen. Die Veränderungen sind dabei so langsam, dass die Aufmerksamkeit des Mitarbeiters nicht gestört wird.
Bild 2: Tageslicht ist weit mehr als nur eine Lichtveränderung von warm- auf kaltweiß.
Anwendungsfall 3: Tunable-White Leuchten
Wenn dynamisches Licht aus einer einzigen Standardleuchte realisieren werden soll, dann entscheiden sich die meisten Anwender für einen Fokus auf Zenitlicht. Als zaghafte Annäherung an das Thema „Human Centric Lighting“ sind somit tunable-white Leuchten ein erster Schritt. Hier hat der Markt inzwischen eine Vielzahl an Formen und Lösungen mit fixierten Steuerkennlinien. Diese Lösungen bieten oft eine gute erste Annäherung und sind ein Einstieg in die Human-Centric Lighting Diskussionen. Lichtlösungen haben aber eine deutlich längere Lebensdauer denn Smartphones. Sollten Sie vorhaben, die Beleuchtung in den kommenden drei Jahren wieder auszutauschen, ist eine zaghafte Annäherung an das Thema sehr sinnvoll.
Qualität in der Steuerung
Im Gegensatz zu den Leuchten mit einer Bandbreite an Lösungen wird es bei der Steuerung schwieriger. Wichtig ist dabei, dass die Bandbreite an verschiedenen Leuchten, ob tunable-white, farbige oder dimmbare Leuchten, zueinander synchronisiert sind. In der Natur erlebt der Mensch das Licht am freien Feld, unter einem Baum und im Wald. In allen Bereichen ist das Licht dynamisch und tageslichtabhängig, wirkt aber ganz unterschiedlich auf Psyche und Wohlbefinden. Daher sollte der Nutzer zwischen verschiedenen Dynamiken wählen können. Die Stimmungen müssen sich zudem auf die Länge des Tages automatisch nach Jahreszeit anpassen. Ideal ist, wenn der Nutzer die Möglichkeit hat, spezielle Anforderungen zu realisieren, z.B. eine Lichtdusche, individueller Zugriff, eigene Szenen oder reduzierter Blauanteil am Abend für besseren Schlaf. Final ist es perfekt, wenn die Stimmungen einfach angepasst werden können, um individuelle Vorlieben zu realisieren.
Hier haben wir mit dem Projekt und der resultierenden Software „menschlichT“ eine innovative Lösung geschaffen und gezeigt, dass diese Kombination der Gütemerkmale in der Steuerung möglich ist. In den kommenden Jahren erwarten wir hier eine Reihe weiterer Lösungen und eine größere Auswahl an Systemen.
Vom Ziel zur Lösung
Human-Centric Lighting ist heute möglich und bringt in allen Anwendungen Vorteile. Ist die Erwartungshaltung klar gefasst, gibt es heute Lösungen. Ein Lichtexperte wird dann mit Freuden den Ball aufnehmen, Fragen stellen und beantworten und eine ansprechende Lösung finden. Hintergrundinformationen wie melanopische Wirkung, suprachiasmatischer Nucleus und retinale Ganglienzellen können in die Diskussion einfließen und haben einen berechtigten Platz in der Diskussion. Das Wissen um die Details der menschlichen Prozesse ist aber nicht notwendig, um die Wirkung von Human-Centric Lichtlösungen zu nutzen.
Bild 3: Tunable-white Leuchten in der Fläche, dezente Farben an der Wand und wechselnde Spots im Raum schaffen eine Dynamik die Leistungsbereitschaft, Effizienz und Wohlbefinden steigert.